04.01.2023 - In der Hoffnung auf ein besseres Leben: Pflegefamilien für unbegleitete minderjährige Ausländer gesucht

Lage in Jugendhilfeeinrichtungen in ganz Niederbayern angespannt – Informationsveranstaltung des Amts für Jugend und Familie am 12. Januar

 

„Nach der großen Flüchtlingswelle 2015/16 kommen derzeit wieder verstärkt Kinder und Jugendliche aus Krisengebieten über die Grenzen nach Deutschland in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die meisten von diesen sogenannten unbegleiteten minderjährigen Ausländern, kurz UMA´s, stammen dabei aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei“, weiß Conny Fernsebner vom Fachdienst für unbegleitete Minderjährige am Jugendamt des Landkreises Rottal-Inn. Laut Vermutung des Jugendamtes wird dieses erhöhte Aufkommen an Zuzügen minderjähriger Geflüchteter in den kommenden Monaten weiter steigen.

 

Wie kommen die minderjährigen Geflüchteten im Landkreis an?

Da das Jugendamt des Landkreises aufgrund der Grenznähe zu Österreich ein sogenanntes Aufgriffsjugendamt ist, ist Conny Fernsebner eine der ersten, die von der Bundespolizei verständigt wird, sobald ausländische Kinder und Jugendliche an der Grenze aufgegriffen werden. An dieser Stelle beginnt die Arbeit des Fachdienstes für unbegleitete Minderjährige. Wird festgestellt, dass es sich wirklich um einen Minderjährigen handelt – sei es aufgrund von Ausweisdokumenten oder aufgrund von Informationen, die sich etwa aus den Gesprächen mit Unterstützung von Dolmetschern ergeben – so findet eine vorläufige Inobhutnahme durch das Jugendamt statt. „Wir müssen das Kind bzw. den Jugendlichen sofort an Ort und Stelle mitnehmen und uns um dessen Unterbringung kümmern“, so Fernsebner. Nicht immer kommt es aber zu Aufgriffen von UMA´s durch die Polizei. „In den letzten Wochen und Monaten bekommen wir viele Minderjährige von anderen Jugendämtern zugewiesen.“ Diese Zuweisungen erfolgen nach dem Königsteiner Schlüssel. Dieser besagt, dass Bayern ca. 15,5 % der bundesweit unterzubringenden UMA´s aufnehmen muss. Die bayerischen Landkreise und kreisfreien Städte sind entsprechend der Asyldurchführungsverordnung verpflichtet, UMA´s, die durch den Beauftragten des Freistaats Bayern für die Aufnahme und Verteilung ausländischer Flüchtlinge und unerlaubt eingereister Ausländer (LABEA) zugewiesen werden, in ihre Zuständigkeit zu übernehmen. Es kommt auch des Öfteren vor, dass es manche UMA´s alleine über die Grenze schaffen und sich hier bei Verwandten melden. Dadurch, dass sie aber ohne Personensorgeberechtigte einreisen und somit niemanden hier haben, der für sie sorgen kann, besteht z. B. keine rechtliche Grundlage, um einen Asylantrag zu stellen oder sich an einer Schule einzuschreiben. Auch diese Kinder bzw. Jugendlichen müssen in Obhut genommen werden. „In jedem Fall bleibt das Jugendamt, dem der Jugendliche zugewiesen wurden, sowohl jugendhilferechtlich als auch vormundschaftlich zuständig“, so Fernsebner.

 

Unterbringungsmöglichkeiten fehlen

In allen drei Fällen müssen die Kinder/Jugendlichen in Einrichtungen der Jugendhilfe (Heime) oder bei Pflegefamilien untergebracht werden. Dies gestaltet sich jedoch immer schwieriger, da die Möglichkeiten zur Unterbringung schlichtweg fehlen. Allein vergangene Woche habe der Fachdienst fünf Inobhutnahmeplätze benötigt. Seit Juli 2015 zählt das Jugendamt Rottal-Inn 781 unbegleitete minderjährige Ausländer, die in der Jugendhilfe versorgt und betreut wurden. Das jüngste Kind darunter war gerade einmal sieben Jahre alt. Aktuell befinden sich in eigener Zuständigkeit 30 UMA´s, von denen 23 unter 18 Jahre alt sind. Von den 30 sind aktuell sieben unbegleitete Minderjährige bei Pflegefamilien untergebracht (Stand 30.12.2022). „Die Kapazitäten sind völlig erschöpft, weil sämtliche Plätze in Jugendhilfeeinrichtungen in ganz Niederbayern und darüber hinaus belegt sind oder wegen anhaltenden Personalmangels nicht belegt werden können“, so Manfred Weindl, Leiter des Amts für Jugend und Familie. Im Landkreis Rottal-Inn gibt es lediglich eine Einrichtung, in der UMA´s untergebracht werden könnten, nämlich der St. Johannisverein in Eggenfelden. Aber auch diese Jugendwohngruppe ist derzeit voll belegt.

 

Informationsveranstaltung für interessierte potentielle Pflegefamilien

Das Jugendamt des Landkreises möchte nun auf die Dringlichkeit der Thematik aufmerksam machen, denn es werden aufgrund des Mangels an Betreuungsplätzen in Jugendhilfeeinrichtungen händeringend Pflegefamilien gesucht. „Pflegefamilien haben meist einen anderen, besseren Zugang zu den Jugendlichen, die oft eine wochenlange Flucht hinter sich haben. Die familiären Strukturen vermitteln ihnen Sicherheit“, weiß Sabine Sanladerer vom Pflegekinderdienst des Landkreises. Um interessierten potentiellen Pflegefamilien für unbegleitete minderjährige Ausländer etwaige Berührungsängste zu nehmen, die sich u. a. aufgrund von Sprachbarrieren ergeben, möchte das Jugendamt des Landkreises auf eine Informationsveranstaltung hinweisen. Diese findet am Donnerstag, 12. Januar von 18 bis 20 Uhr im kleinen Sitzungssaal im Landratsamt Rottal-Inn (Ringstr. 4-7, Pfarrkirchen) statt. Es werden zwei langjährige Pflegemütter anwesend sein und aus ihrer Praxis berichten. Außerdem werden Conny Fernsebner vom Fachdienst, Sabine Sanladerer vom Pflegekinderdienst und die Jugendamtsleitung vor Ort sein und Fragen rund um das Pflegeverhältnis beantworten. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.         

„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gerade in solchen Fällen bei Pflegeeltern oft noch größere Bedenken bestehen als bei regulären Pflegeverhältnissen“, so Sanladerer. Die Veranstaltung soll Interessenten daher die Tätigkeit an sich näherbringen, aber genauso auch die Unterstützung durch das Jugendamt offenlegen, denn „niemand wird mit dieser Aufgabe alleine gelassen.“ Die Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes sind jederzeit für die Pflegeeltern erreichbar, auch Dolmetscher werden vom Jugendamt für wichtige Gespräche gestellt. „Es sei auch gesagt, dass die Pflegeeltern keine Aufgabe für die nächsten zehn Jahre übernehmen, es geht in erster Linie darum, dass die Kinder und Jugendlichen sicher unterkommen können, ein Bett und etwas zu essen haben“, so Sanladerer. Häufig ergeben sich nach einiger Zeit auch andere Perspektiven. Nähere Informationen zu einem Pflegeverhältnis, u. a. zu den persönlichen sowie räumlichen Anforderungen oder zum Pflegegeld werden im Rahmen der Informationsveranstaltung gegeben bzw. können jederzeit beim Jugendamt des Landkreises unter der Telefonnummer 08561/20 521 oder per E-Mail an jugendamt@rottal-inn.de erfragt werden.

 

„Wir hoffen, dass sich die ein oder andere Pflegefamilie finden lässt“, so Manfred Weindl. „Es gibt viele Positivbeispiele von mittlerweile jungen Erwachsenen, die die Jugendhilfe genutzt und hier ihren Weg gemacht haben. Unsere Erfahrungen zeigen, dass nicht nur die Familien, sondern auch wir große Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft erfahren, etwa wenn wir Übersetzungshilfen brauchen. Viele von den ehemaligen UMA´s sprechen mittlerweile sehr gut Deutsch, haben einen unbefristeten Aufenthaltstitel und arbeiten oder studieren hier – sie konnten sich hier ein Leben in Sicherheit aufbauen“, so Weindl abschließend.  

 

 

 

 

BU (v. l.): Sabine Sanladerer vom Pflegekinderdienst, Jugendamtsleiter Manfred Weindl und Conny Fernsebner vom Fachdienst für unbegleitete Minderjährige hoffen darauf, Pflegefamilien für unbegleitete minderjährige Ausländer zu finden.